Grass und Bautzen – wie krass ist das denn!

Es ist nicht unbedingt verdienstvoll, jemandes Kind oder Enkel zu sein. Doch einen bekannten Vorfahren in der Familie zu haben, ist manchmal nicht von Nachteil. Zum Beispiel dann,...

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Es ist nicht unbedingt verdienstvoll, jemandes Kind oder Enkel zu sein. Doch einen bekannten Vorfahren in der Familie zu haben, ist manchmal nicht von Nachteil. Zum Beispiel dann, wenn man Offene Briefe schreibt. Denn wie der Name schon sagt, sollen diese veröffentlicht werden. Dazu braucht es willige Redaktionen. Man könnte so ein Schreiben natürlich auch direkt an den eigentlichen Adressaten schicken, doch das würde ja kein Aufsehen erregen.

Als wirklicher Aufreger eignete sich allerdings ein unlängst in der Bautzener „SZ“ abgedruckter „Offener Brief der Hentschke-Enkel“ gar nicht. In diesem wurde deren Großvater, der Baumeisters Ernst-Hans Hentschke, gewürdigt, der sich mit der Rettung des schiefen Reichenturmes einen bleibenden Namen gemacht hatte. Und dieser Name hat noch heute in der Baubranche einen guten Klang. „In erster Linie war der Baumeister Hentschke ein Mann, der seine Heimatstadt sehr geliebt hat. Er wäre stolz darauf, dass die Firma Hentschke inzwischen als einer der größten Arbeitgeber in der Region immer noch für hohe Bauqualität steht.“ So weit, so positiv. Kritisch sieht die Generation der Enkel dagegen, wie sich der heutige Geschäftsführer des Unternehmens politisch engagiert. Jörg Drews sei zur Leitfigur einer Bewegung geworden, die die Bevölkerung polarisiert. Dass die Firma Hentschke im Bundestagswahl-Jahr 2017 mit 19 500 Euro zu den größten Spendern für die AfD aus den Kreisen der Wirtschaft gehört habe, sei ebenso unpassend. So urteilen jedenfalls die Enkel; was deren Großvater dazu gesagt hätte, kann nur vermutet werden.

Zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes gehört mit Helene Grass auch eine Tochter des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Günter Grass. Wie eingangs geschrieben: Es ist kein Verdienst, jemandes Tochter zu sein. Aber neugierig macht so eine Konstellation eben doch … Günter Grass und Bautzen, wie krass ist das denn! Doch eigentlich recht schnell erklärt:

Die Mutter von Helene Grass ist eine Tochter des alten Baumeisters Hentschke namens Veronika (später Schröter), Jahrgang 1939. Die gebürtige Bautzenerin floh kurz vor ihrem 18. Geburtstag nach Westberlin. Dort studierte sie später Architektur. Bei der SPD-Wahl-Kampagne für Willy Brandt begegnete sie dem berühmten Autor der „Blechtrommel“. Das war Anfang der 1970er Jahre. Dieser war damals verheiratet; sie lebte von ihrem Mann getrennt. „Man begegnete sich in politischem Gleichklang, aber dabei klingt für Außenstehende mehr und mehr auch mehr an.“ So schreibt Michael Jürgs in „Bürger Grass“, Biografie eines deutschen Dichters. Man zog zusammen. Eine Tochter wurde geboren: Helene, Jahrgang 1974. Zu einer Heirat kam es nicht. Doch Veronika unterstützte Grass zum Beispiel beim Schreiben des Romans „Der Butt“, der dann 1977 heraus kam. (Noch heute fragt sich mancher Literaturfreund: Ist sie etwa sogar die Ilsebill?)

Beantworten lässt sich dagegen die sich aufdrängende Frage, ob denn Günter Grass selbst auch mal in Bautzen war. Ja, das war er und zwar wenigstens zum Jahreswechsel 1973/74. Darüber gibt es sogar ein Gedicht, abgedruckt in „Ach Butt, dein Märchen geht böse aus“ (1983), in dem es u.a. heißt: „Privat im Sozialismus / Wie dünn das Eis trägt, / …“ Vielleicht war es dieser persönliche Hintergrund, der den Schriftsteller im November 1987 bereitwillig auf einen Brief aus Bautzen mit Fotos und der Bitte um eine Autogramm antworten ließ, ganz von sich aus eine Kopie des genannten Gedichtes beilegend.

Einige Jahre darauf – in Dresden erregte der Streit um die Waldschlößchenbrücke die Gemüter – folgte Günter Grass einer Einladung der Grünen Liga an die umstrittene Baustelle am Fluss. Das war am 8. Dezember 2007 und der Schriftsteller inzwischen bereits Nobelpreisträger (1999). Es sollten wieder Bäume gefällt werden – 13 deutsche Eichen. Ohne etwas Symbolik kommt kein Protest aus und dazu das Statement eines Prominenten gerade recht. Günter Grass tat den rund 500 Anwesenden diesen Gefallen. Man versuche hier, etwas „gegen den Bürgerwillen“ durchzusetzen, so seine Anklage. Vielleichte wusste der damals 80-Jährige nicht, dass sich bei einem Bürgerentscheid im Jahr 2005 rund 120 000 Dresdner für die neue Elbbrücke ausgesprochen hatten; nur 60 000 waren dagegen.

Vor Ort könnte Günter Grass seinerzeit Jörg Urban begegnet sein. Ja, dem heutigen Vorsitzenden der AfD Sachsen. Dieser war noch bis 2014 Geschäftsführer der Umweltschützer-Organisation „Grünen Liga Sachsen“. Der Widerstand gegen den Bau der Waldschlößchenbrücke hatte den Ingenieur für Wasserbau zu einer populären Persönlichkeit gemacht. Der gebürtige Meißener kandidierte dann bei der Stadtratswahl in Dresden, doch nicht etwa für die Grünen, was nur folgerichtig gewesen wäre, sondern für die erst im Jahr zuvor gegründete AfD. Das alles macht der „Grünen Liga“ hnoch heutzutage etwas zu schaffen. Selbst 2017, also drei Jahre später, findet sich in deren Jahresbericht der Passus, dass man sich „vom ehemaligen Grüne-Liga-Sachsen-Geschäftsführer Jörg Urban wegen seiner AfD-Karriere“ ausdrücklich abgrenze.

Ja, die Zeiten ändern sich und – frei nach Christian Friedrich Hebbel – noch viel mehr die Menschen. Auch Jörg Drews will einiges verändern. Künftig wird der – von der „SZ“ so titulierte – „Bautzener Baulöwe“ hmehr darauf achten, dass politische Themen nicht auf unpassende Art und Weise mit dem Unternehmen in Verbindung gebracht werden. Vielleicht spielt bei diesen Überlegungen auch der Offene Brief der Hentschke-Enkel eine Rolle. Obwohl diese Familie – nach der Rückgabe ihres Eigentums zur Wendezeit – seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr an der Firma beteiligt ist. Vor allem dürfte es Jörg Drews um die Wahrung der Integrität seines Unternehmens gehen. Über dumm-dreiste Begriffe in den sozialen Medien wie etwa „Brücken-Aldi“ kann man nur den Kopf schütteln. Wenn jedoch Mitarbeiter der Firma Hentschke und deren Familien offen diffamiert werden, ist das der Bewahrung einer Bautzener Tradition, die den guten Namen „Henschke“ trägt, einfach unwürdig. Und bestimmt nicht im Sinne der schreibfreudigen Enkel.

Hans-Georg Prause

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