Wird Deutschland jetzt geentert?

Berlin hängt am Enterhaken! Einen furiosen Wahlsieg erreichte die „Piratenpartei“ in der Bundeshauptstadt. Aus dem Stand heraus schafften es die Piraten auf fast zehn Prozent. Klar, dass sich...

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Berlin hängt am Enterhaken! Einen furiosen Wahlsieg erreichte die „Piratenpartei“ in der Bundeshauptstadt. Aus dem Stand heraus schafften es die Piraten auf fast zehn Prozent. Klar, dass sich die Partei, die sich freies Internet, kostenlose Bahn- und Busbenutzung, bedingungsloses Mindesteinkommen und legalen Haschisch-Konsum auf die Totenkopf-Fahne geschrieben hat, zum eigentlichen Wahlsieger deklariert. Damit haben die Piraten nicht einmal Unrecht, zumindest was die prozentualen Zuwächse betrifft. Wer die Wahlsendungen und Polit-Talkshows im Fernsehen verfolgt hat, der konnte wieder einmal ein Meisterstück verschobener politischer Wahrnehmung beobachten.

Die SPD mit ihrer Gallionsfigur Klaus Wowereit hat die Wahl gewonnen, weil sie stärkste Partei geworden ist. Zwar gab es Stimmverluste, aber trotzdem einen Sieg. Die CDU hat die Wahl ebenfalls gewonnen. Sie wurde zwar nur zweitstärkste Kraft, hat aber minimal zugelegt – also auch Wahlgewinner. Selbstverständlich waren auch die Grünen Sieger. Zwar ist ihre Spitzenkandidatin Renate Künast abgeschmiert, aber innerhalb des Wahlkampfes wurden einfach mal neue Ziele ausgegeben, die dann auch erreicht wurden – nämlich einen Wahlsieg der Bürgerlichen zu verhindern. Gewonnen haben auch die „Linken“ – in diesem Fall ein Wahlsieg der Wähler, denn eine Regierungsbeteiligung der ehemaligen DDR-Regierungspartei wird es wohl nicht mehr geben.

Nicht wegzudiskutieren sind die einzigen Wahlverlierer in Berlin: Die FDP ist so grandios gescheitert, dass man schon fast Mitleid bekommen möchte. Im „Projekt 18″ wurde ein dramatisches Komma gesetzt. Das ist mehr als bitter, und die einstigen Spötteleien über die Abkürzung „Fast Drei Prozent“ sind angesichts eines solchen Desasters schon fast mitfühlender Seelentrost.

Welche Lehren sind aus dem Berliner Wahlergebnis zu ziehen? Die FDP hat sich so schlecht verkauft wie nur irgendwie möglich. Als einzig verbliebenes liberales Korrektiv wird sie nicht mehr wahrgenommen. Die Freidemokraten werden für Dinge abgestraft, die ihren Ursprung in CSU und CDU haben. Zerrieben wird die FDP einer undefinierten „Mitte“, die jeder für sich reklamiert, und sie hat weder Möglichkeit noch Personal, sich adäquat zur Wehr zu setzen. Die Grünen werden von den Wählern als etablierte Partei empfunden, die sich von ihren Wurzeln entfernt hat und nicht mehr anders, geschweige denn besser als die anderen ist. In der Folge nehmen die nonkonformen Piraten den einstigen Platz der Ökopaxe ein. SPD und CDU werden immer mehr als homogene Masse wahrgenommen, die sich nur noch in Details voneinander unterscheidet. Deshalb rückt eine große Koalition, der letzte Ausdruck politischer Hilf- und Ideenlosigkeit, in greifbare Nähe.

Ob die Piraten nun einen Siegeszug quer über die ganze Republik antreten werden, ist, zumindest mit ihrem bestehenden Programm, mehr als unwahrscheinlich. In der „Hauptstadt der Verrückten“ haben die Menschen nun mal andere Probleme als in der Provinz. Der fulminante Einzug in den Berliner Senat ist keineswegs ein Indiz politischer Piraten-Qualität. Er ist vielmehr ein Ausdruck der Verachtung für das politische Establishment, dem man nichts mehr zutraut. Bei einer Wahlbeteiligung, die einer lebendigen Demokratie angemessen wäre, hätten Newcomer wie die Piraten wohl kaum eine Chance gehabt.

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