Marrakesch und der Heilige Martin

Die deutsche Bundeskanzlerin kennt als evangelische Christin ganz bestimmt den Text und die Melodie von „Macht hoch die Tür, die Tor‘ macht weit“. Doch es ist nur Gerücht,...

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Die deutsche Bundeskanzlerin kennt als evangelische Christin ganz bestimmt den Text und die Melodie von „Macht hoch die Tür, die Tor‘ macht weit“. Doch es ist nur Gerücht, dass sie dieses schöne Adventslied während des Fluges nach Marrakesch vor sich hin gesummt haben soll. Dort verkündete sie dann auf einer internationalen Konferenz Kraft ihrer staatsfraulichen Herrlichkeit und getragen von der mehrheitlichen Zustimmung des Berliner Bundestages, dass Deutschland sich verpflichtet, alle Punkte des UN-Migrationspaktes zu erfüllen. Und das im unerschütterlichen Glauben daran, dass Migration eine „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt“. Bei so viel Sendungsbewusstsein bleibt für Selbstzweifel kein Raum.

Zweifellos waren für diesen Globalen Pakt für Migration bereits alle Messen gesungen, als in Bautzen an fünf Tagen im Spätherbst jeweils zwischen 200 und 350 Bürger auf die Straße gingen. Die wöchentlichen Kundgebungen auf dem Kornmarkt und auf dem Theatervorplatz waren öffentliche Bekundungen gegen eine Politik, die hinweg über die Köpfe der Menschen gemacht wird. Denn was diesen zu allererst beim Lesen des Paktes aufgefallen sein dürfte: Sie selbst, also die sogenannten Schon-immer-hier-Lebenden, kommen darin kaum vor! Dafür wird in dem 34 Seiten umfassenden Text ge(maß)regelt, was sie zu tun und was sie zu lassen haben. Ihren „Verpflichtungen“, es sollen rund 90 an der Zahl sein, stehen keine oder nur wenige Forderungen an die künftigen Einwanderer gegenüber. Wen wundert es da, dass es seitens der Regierenden sehr lange so still um diese Vereinbarung gewesen war, verdächtig still.

Es gibt da übrigens einen dazu passenden Song von Ulrich Roski. Der Liedermacher, den der SPIEGEL mal einen Anti-Blödelbarden nannte, ist leider bereits verstorben, doch seine Moritat vom Heiligen Martin hat ihn überlebt. Man findet bei YouTube diesen St. Martins Blues. Natürlich erzählt/singt Roski die Legende etwas anders. Nur anfangs folgt er der Überlieferung, d.h. der Heilige trifft bei einem Ausritt einen nackten, bettelarmen Mann und teilt mit diesem seinen Mantel. So weit, so bekannt. Doch schieben wir hier mal eine Erkenntnis des Philosophen Voltaire ein. Dieser soll bemerkt haben, dass alle Menschen klug sind – die einen vorher, die anderen nachher. Bei Roski geht es dann auch wie folgt weiter:

„Ich reifte heran und da wurde mir klar / Dass diese Version der Geschichte verfälscht / Ersonnen, ersponnen, gereinigt für Kinderhorts war / In Wirklichkeit sah alles anders aus: / Bettler sieht Martin, den Mantel, das Schwert / Merkt die Absicht, ist verstimmt, denn er sagt sich: / „Was nützt mir schon ein halber Mantel?“ / Er schlägt Martin zu Boden / Und nimmt sich den Loden / Nimmt ihn ganz, denn er hat sich unterdessen folgendes zusammengereimt: / „Was nützt mir eine Hälfte von dem Kleide? / Mmmhm, nehm‘ ich sie doch besser beide!“ / Sprach’s, eilte davon und ließ Martin zurück mit folgender Erkenntnis: / (Refrain): Don’t offer your finger / If you wanna keep your hand for you …“ usw.

Der Refrain beginnt also mit einer im Deutschen gut bekannten Redewendung: Gib jemand den kleinen Finger und er nimmt die ganze Hand. Oder so ähnlich. Wer will das schon? So toll die Predigtzeile „Einer trage des andren Last (so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen)“ auch ist, so sollte in unserer irdischen Welt doch die gerechte Verteilung der Lasten eine wichtige Rolle spielen. Manch einer möchte es zwar nicht wahrhaben, doch in Deutschland sind viele Rentner, Alleinerziehende und Kinder von Armut bedroht. Bei einem ihrer TV-Polittalks zählte Maybrit Illner jüngst einiges auf, was vorher den Faktencheck bestanden haben dürfte:

Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 60 Prozent des Vermögens, jeder vierte Arbeitnehmer verdient sein bescheidenes Geld im Niedriglohnbereich und es gibt sechs Millionen Hartz IV-Empfänger. Man könnte auch noch die Belastung von Otto Normalverdiener durch hohe Steuern und Abgaben hinzufügen. Während gleichzeitig Ersparnisse durch Niedrigstzinsen und Wertverlust aufgezehrt werden. Zudem sind die Renten keinesfalls üppig und längst alles andere als sicher. Auch das muss man ganz unverblümt sagen.

Wenn also in Bautzen einige hunderte Bürger auf die Straße gingen, um gegen den UN-Migrationspakt zu argumentieren, weil sie große Probleme auf dieses Land zukommen sehen, dann sind das keine schlechten Menschen. Wahrscheinlich werden das selbst jene 70 bis 80 Leute nicht behaupten, die es wenigstens an einem jener Tage geschafft haben, vor Ort ihre Vorstellung von Gegenöffentlichkeit zu demonstrieren. Es ist nicht bös‘ gemeint, doch der Hashtag #wirsindmehr passt wohl nicht zu Bautzen. Dabei wurde der Aufruf zur Kundgebung „Fakten statt Fake News“ laut dem Tweet einer stadtbekannten Bloggerin „vom Stadtverband von Bündnis90/Die Grünen, dem der SPD sowie der Stadtratsfraktion von Die Linke“ mitgetragen. Doch es war auch tüchtig kalt. Da twitterte es sich danach viel besser vom warmen Zuhause aus. Gegenseitiges Schulterklopfen inklusive. Aus dem Eingeständnis „Ja, wir waren weniger!“ wurde innerhalb weniger Zeilen „ein breiter Gegenprotest“.

Währenddessen drehten die Gegner des UN-Migrationspaktes, also jene, die eben nicht „am Hintern zu schwer und im Kopfe zu bequem sind“ (wie einst die Klaus Renft-Combo sang) nach den Kundgebungen noch gemeinsam ihre Runden durch die Stadt. In den Händen, passend zum Advent, hielten sie zuletzt brennende Kerzen. Wem würde da nicht jener bekannte Aphorismus in den Sinn kommen: „Gegen die Nacht können wir nicht ankämpfen, aber wir können ein Licht anzünden.“ Sicherlich wollte Giovanni Bernadone, den wir als Franz von Assisi kennen, diesen Spruch nicht wörtlich verstanden wissen. Doch viele Lichter schaffen es vielleicht, dass noch mehr Menschen ein Licht aufgeht.

Hans-Georg Prause

Foto: pixabay.com

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