Nicht in bester Verfassung

Aber ja doch, das Alter schützt vor Torheit nicht. Dieser ironische Spruch kann hier jedoch keine Entschuldigung sein. Zu gravierend war der politische Fauxpas, den sich unlängst Winfried...

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Aber ja doch, das Alter schützt vor Torheit nicht. Dieser ironische Spruch kann hier jedoch keine Entschuldigung sein. Zu gravierend war der politische Fauxpas, den sich unlängst Winfried Kretschmann geleistet hat. Der grüne Landesvater von Baden-Württemberg sprach sich öffentlich dafür aus, per Notstandsgesetzgebung drastisch in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen zu können. Als Vehikel für diesen Versuch einer staatlichen Selbstermächtigung musste die Corona-Pandemie herhalten – was denn sonst.

Möglicherweise müsse man laut Kretschmann dafür eben auch das Grundgesetz ändern. Die Verfassung als Verfügungsmasse der Politik? Das macht einen fassungslos. Wer hätte dem netten älteren Herrn aus dem Ländle diesen Willen zur Macht zugetraut. Zumal er gerade erst eine Landtagswahl gewonnen hat. Einfach zu lange im Amt? Inzwischen spricht er aber „von einem Missverständnis“. Zumindest leidet er nicht an Altersstarrsinn.  

Seine Partei, also die Grünen, ist auch in die Jahre gekommen. Vom einstigen Slogan „Ökologisch und sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ ist nach zwischenzeitlichem Mitregieren im Bund und in den Ländern nicht mehr viel geblieben. Wie heißt es doch so schön: Das schleift sich ab. Schlimm ist nur, wenn dabei der einst gute Kern stark beschädigt wird.

Alt-Grüne wie Winfried Kretschmann sind (bei allem Respekt) ein Auslaufmodell. Doch die Enkel fechten es nicht besser aus, leider. Die als aufmüpfige Weltverbesserer angetretenen Grünen mutierten mit der Zeit zu einem elitären Projekt für Besserverdienende. Man ist sogar offen für militärische Auslandseinsätze, stellt Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl „per Order Mufti“ auf, und das ökologisch Gebotene soll vor allem über Verbote durchgesetzt werden.

Dazu kommt neuerdings die Heilige Einfältigkeit der Grünen, diese „Trilogie aus vergessenen Nebeneinkünften, frisiertem Lebenslauf und einem Buch, das offenbar im Copy-Shop entstanden ist“ („Steingarts Morning Briefing“ vom 5. Juli) in Gestalt der Annalena Baerbock. Weil das anfangs von einem züchtigen Augenaufschlag begleitete Eingestehen ach so kleiner Fehler nun nicht mehr funktioniert, sinken die Umfragewerte der Grünen in dem Maße, wie deren Unterhaltungswert für den Politboulevard steigt.

Diese Unterstützung im Wahlkampf hat die CDU nicht verdient. Besonders schmerzen dürfte die Grünen aber der Liebesentzug durch einige der meinungsmachenden Medien. Ob nun späte Läuterung oder blanker Opportunismus: In den oft grün-affinen Redaktionen fühlt man sich um den Ruhm und Lohn als Kaiserinnenmacher betrogen. Aber diese hat eben (nur bildlich gesprochen!) keine Kleider an, ist erschreckend nackt.

Doch nicht Frau Baerbock, sondern die Parteiführung der Grünen hat sich mit der Inthronisierung dieser Schildmaid als Verfechterin der allein selig machenden Umweltideologie eine Blöße gegeben. Man kann sich das eingestehen, man kann aber auch von einem „Propagandakrieg“ (Reinhard Bütikofer) in der Paste & Copy-Affäre sprechen, von einer „Dreckskampagne“   (Jürgen Trittin). Die Grünen haben die Fassung verloren, sind nicht mehr in bester Verfassung.

Gewogen und als zu leicht befunden? Zumindest haben es sich Baerbock und Co. zu leicht gemacht mit dem fast schon esoterischen Heilsversprechen, „nur noch kurz die Welt (zu) retten“ (Tim Bendzko).

Eine politische Leichtgläubigkeit hatte auch Konjunktur beim Wahlvolk. Wie sonst ließe sich der Höhenflug der Grünen bei früheren Umfragen erklären. Plötzlich war nur noch der Himmel über dem Kanzleramt. Das muss so unglaublich gewesen sei, dass sie, wie paradox, irgendwann selbst daran glaubten. Ein gutes Fallbeispiel für Selbstsuggestion. Doch Wünsche haben wenig zu tun mit der Wirklichkeit.

Und diese sieht nämlich so aus: „Viele Deutsche sind besorgt um die Demokratie“, das stand am 1. Juli auf der Titelseite der „Sächsischen Zeitung“ über einem dpa-Beitrag. Laut der in diesem Artikel erörterten Umfrage, initiiert von der Bosch-Stiftung, ist es hierzulande sogar „die große Mehrheit“. Immerhin 65 Prozent machen sich „häufig Sorgen“.

Beim Deutschlandfunk Kultur (30. Juni) leuchtet da keine rote Lampen auf: „In Deutschland gibt es ein solides Vertrauen in Institutionen, so ein Ergebnis der Studie.“ Woher nur kommt diese Selbstgerechtigkeit? „Die Ergebnisse erlauben kein ,Weiter so‘. Die Ambivalenz und Gleichgültigkeit vieler Bürgerinnen und Bürger in westlichen Demokratien, gepaart mit Enttäuschung, gilt es ernst zu nehmen und zu adressieren“, warnt dagegen Sandra Breka, Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung.

Die Sorgen der Menschen ernst nehmen? Da ist es einfacher, nach dem Verfassungsschutz zu rufen. Ein Beispiel: Aus der die Corona-Maßnahmen der Politik kritisierenden Querdenker-Bewegung heraus ist es zur Gründung von zwei Parteien gekommen, die auch an der Bundestagswahl teilnehmen werden. Das sind die „Basisdemokratische Partei Deutschland“, kurz „Die Basis“ und „Wir2020“

Das ist legitimDas sollte Beifall findenDenn „Parteien sind wichtig für die deutsche Demokratie“. So steht es auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung. Also alles bestens? Von wegen! „Die Bewegung ist sehr vielschichtig und reicht politisch von links bis rechtsextrem. Weil etliche Akteure politisch nicht zuzuordnen sind, hat der Verfassungsschutz eine neue Kategorie geschaffen, die ‚verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘.“

Fazit: Um manches Verständnis von Demokratie hierzulande muss man sich wirklich Sorgen machen!

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