So manches kommt einem spanisch vor

Was haben einige wenige Sätze in einem Brief aus Cala Ratjada auf Mallorca, wo dessen Verfasserin seit vielen Jahren lebt und arbeitet, mit einem deutschen Sprichwort zu tun?...

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Was haben einige wenige Sätze in einem Brief aus Cala Ratjada auf Mallorca, wo dessen Verfasserin seit vielen Jahren lebt und arbeitet, mit einem deutschen Sprichwort zu tun? „Die überfüllten Strände, von denen Du in Deinem Brief schreibst und die das deutsche Fernsehen zeigt, kennen wir hier nicht. Vielleicht stammen die Bilder aus Palma oder Arenal.“ Nun, bei so einem privaten Schriftwechsel ist sicher nicht die Aktualität das Ausschlaggebende. Doch er sollte beantwortet werden. Erinnern wir uns also:

Es war in den Sommermonaten, da überraschte die deutsche Presse mit Fotos von vollen Stränden auf dieser Baleareninsel. Sonnenanbetende Menschenleiber dicht an dicht? Das kam aufmerksamen Leuten dann doch spanisch vor – allerdings im Sinne des bewussten Sprichwortes. Es war gelinde gesagt zu ungewöhnlich für Corona-Zeiten. Und das war es letztlich auch.

Wie sich herausstellte, hatten teils namhafte Redaktionen ungeprüft schlicht und einfach schöne bunte Bilder aus den Vorjahren verwendet. Das machten aber erst diverse Beiträge in den sozialen Netzwerken öffentlich. Ob nun gewollt oder nicht, ob Fehler oder Fake – es passte wohl einfach zu gut ins mediale Bild von zu sorglosen Urlaubern, die unbedingt an den öffentlichen Pranger gehören. Denn wieso haben die keine Angst vor Corona! Haben die noch nichts von der „neuen Normalität“ gehört?

Da schrieb zum Beispiel Welt.de: „Diese Bilder schockieren die ganze Insel.“ Schockierend war eher diese journalistische Berichterstattung. Es lohnt sich, auf den kursiven Link zu klicken. Ja, die in einem Video gezeigten Partygäste tragen keinen Mund-Nasen-Schutz. Was im eingesprochenen Kommentar vorwurfsvoll vermerkt wird. Nur galt eine Maskenpflicht erst wieder am Montag nach jenem Wochenende, an dem gefilmt wurde. Was unerwähnt bleibt.

Während sich viele vor einer Richtigstellung drückten und es in den Redaktionsstuben aussitzen wollten, versuchte es der SPIEGEL mit einer Flucht nach vorn: „Liebe Leserinnen und Leser, wir müssen uns bei Ihnen entschuldigen. …“ – so stand es unter ferner liefen im Reiseteil. Es wird zugegeben, dass die Bilder von Stränden spanischer Touristenhochburgen nicht 2020 entstanden, „sondern in den Jahren 2018 und 2019.“ Aber dieser Artikel zeigte alles eher in einem ZerrSPIEGEL. Da gab es kein „Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“, kein Eingeständnis der Schuld, kein „Sagen, was ist“, dem zur Worthülse verkümmerten Slogan der Zeitschrift. Deren Fazit: Es lag am Fotografen und an der Fotoagentur. 

Ansonsten wurde natürlich zuerst versucht, Facebook und Co. alles in die Schuhe zu schieben. Ein nur zu bekannter, wenn auch spezieller Fall von Opfer-und-Täter-Umkehr. Nicht die Presse ist schuld, sondern in den sozialen Medien würde Unwahres berichtet. Nur war dem nicht so. Also musste schließlich CORRECTIV  versuchen, zu retten, was nicht mehr zu retten war. Dieses auf Recherche spezialisierte, stiftungsfinanzierte „Journalismusprojekt“ ist nicht wirklich unabhängig. Deshalb liest sich dieser Absatz zum konkreten Fall so:

„Es wird also suggeriert, Focus-Online und Welt.de hätten ein veraltetes Foto verwendet und auf Mallorca habe es keine Partys ohne Abstand am Strand gegeben. CORRECTIV hat diese Behauptung überprüft. Sie ist richtig. Das Foto wurde von Focus-Online und Welt.de in der aktuellen Berichterstattung verwendet, ohne darauf zu verweisen, dass es veraltet ist.“

Da wurde in den sozialen Netzwerken etwas nur „suggeriert“? Da wurde also versucht, jemandem etwas einzureden, was nicht stimmt? Es muss von CORRECTIV doch selbst zugegeben werden, diese Behauptung (auch eine grenzwertige Wortwahl in dem Kontext) sei richtig. Ja, man hört förmlich das Zähneknirschen zwischen den Zeilen. Was stimmt mit dem Journalismus hierzulande nicht (mehr)?

Diese Frage stellt sich auch in einem aktuelleren Zusammenhang. Verlassen wir mal das sonnige Mallorca und schauen wir nach Weißrussland. Es geht dabei nicht um Alexander Lukaschenko, nicht um die politische Opposition, auch nicht um den versuchten Regimewechsel. Zumindest nicht direkt. Es geht um die Einordnung des Messenger-Dienstes Telegram durch die „Tagesschau“ der ARD.

Vereinfach gesagt ist Telegram so etwas wie Facebook, nur sicherer und unreglementiert. Für das Flaggschiff der deutschen Fernsehnachrichten ist es „die App der Opposition“ in Belarus. Ein Auszug aus der Lobpreisung: „Nur auf Telegram konnten die Protestler sich untereinander verständigen und die Welt um Hilfe rufen. Die App hatte einen Weg gefunden, um die staatliche Netzsperre zu umgehen. Im Ausland ist vor allem der Kanal NEXTA dafür bekannt, dass er Fotos und Videos von Demonstranten teilt und andere wichtige Information in kurze Textnachrichten verpackt.“

So war es zu lesen am 20. August in einem Online-Beitrag. In diesem wurde aber der Artikel „Noch nicht gesehene Radikalisierung“ verlinkt. Die Überschrift bezog sich ebenfalls auf  – Telegram. Hierbei ging es um dessen Nutzung in Deutschland. Ein dafür typischer kurzer Auszug: „Bei Telegram treffen verunsicherte Menschen auf Verschwörungstheoretiker, Weltuntergangspropheten und Rechtsextreme. Viele radikalisierten sich in der Corona-Krise  das zeigt eine Analyse von NDR und SZ.“

Dumm gelaufen. Selten wurde so deutlich, wie die Medien hierzulande mit zweierlei Maß messen. Merke: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe. Manchmal liegen nur rund zwei Wochen dazwischen. Und es wird ein unaufmerksamer Online-Redakteur benötigt.

Wie kommen wir nun aber zurück auf die spanische Urlaubsinsel? Vielleicht abschließend mit dieser Vor-Ort-Schilderung aus der ersten September-Woche:

„Jetzt muss man in der Öffentlichkeit permanent eine Maske tragen, außer am Strand und beim Sport. Daran halten sich aber weniger als die Hälfte. Meist hat man den Maulkorb griffbereit am Handgelenk und hält nach der Polizei Ausschau. In Palma gibt es Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, ähnlich wie in Deutschland. Den Menschen reicht es nun …“

Das kommt uns nun gar nicht spanisch, sondern eher sehr bekannt vor.

Hans-Georg Prause

Foto: Archivbild 2017

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