Was stört mich mein Geschwätz von gestern

„Zum Krieg kann überhaupt alles führen. Zum Krieg muss überhaupt gar nichts führen.“ Das schrieb Golo Mann in seiner Wallenstein-Biografie (1971), darüber nachdenkend, wie es vor vier Jahrhunderten...

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„Zum Krieg kann überhaupt alles führen. Zum Krieg muss überhaupt gar nichts führen.“ Das schrieb Golo Mann in seiner Wallenstein-Biografie (1971), darüber nachdenkend, wie es vor vier Jahrhunderten zu diesem Europa derart verheerenden Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) kam. Es wurden dicke Bücher darüber geschrieben, jedoch daraus keine Lehren gezogen. Heutzutage muss man sich deshalb darüber Gedanken machen, wohin es führen kann, wenn innerhalb weniger Jahre mit „Atlantic Resolve“ 2017 und jetzt „Defender Europe 2020“ gleich zwei große Militärmanöver in Polen und im Baltikum stattfinden.

Es sei nur eine Übung und auch nicht gegen Russland gerichtet. Mit diesen Worten zitierte die „Sächsische Zeitung“ kürzlich den Bundeswehr-Inspekteur Schelleis. Na wer würde denn auch auf so eine Idee kommen! (Ironie aus). Dass vor drei Jahren 4000 Mann und 900 Waggons Kriegsmaterial auf Straße und Schiene durch Deutschland transportiert wurden, dabei eine komplette Panzerbrigade, nimmt sich gegenüber den aktuellen Zahlen übrigens fast bescheiden aus. Diesmal sind es laut Presseberichten „37 000 Soldaten und 20 000 Stück Frachtgut“ und Sachsen ist direkt betroffen. Ohne jede Frage ist das eine Eskalation, eine gefährliche zudem.

„Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt.“ Manchen Leser dürfte es etwas irritieren, dass diese Mahnung von Frank-Walter Steinmeier (SPD) ausgesprochen wurde. Allerdings sagte er diesen Satz im Sommer 2016 als er noch Außenminister war. Es ging um das Großmanöver „Anakonda“ in Polen mit rund 31 000 Soldaten. Die Ausgangslage: Russland als Aggressor. Selbst in NATO-Kreisen soll man laut „Spiegel“ der Meinung gewesen sein, es werde „ohne Not der Ernstfall durchexerziert“. Auch Steinmeier legte damals noch nach. Er sprach vom „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“, das man besser lassen solle, um die Lage nicht weiter anzuheizen. Die östlichen Partnerländer warnte er davor, Russland zu provozieren, also keine Vorwände für eine Konfrontation zu liefern.

Nachzulesen ist das bei ZEIT online mit dem Datum vom 18. Juni 2016. Vielleicht sollte das der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tun. Gern wird bei solchen Konstellationen das angebliche Adenauer-Zitat bemüht und auf Politiker allgemein übertragen: Diese kümmere ihr „Geschwätz von gestern“ schon bald nicht mehr. In manchen Fällen, wir wollen hier nicht verallgemeinern, geht das tatsächlich recht schnell. Wie zum Beispiel bei Frank-Walter Steinmeier.

Nur rund einen Monat nach seinen oben zitierten markanten Worten vom Juni 2016 schrieb er an einem neuen Sicherheitskonzept der Bundesregierung mit, wo plötzlich von einem „Doppelansatz“ im Umgang mit Russland die Rede war: „Dieser besteht aus glaubwürdiger Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit sowie aus der Bereitschaft zum Dialog.“ Zuerst kommt also die Androhung von Gewalt, danach dann das Gesprächsangebot. Der einfache, schlicht gestrickte Bürger könnte zwar glauben, dass höchstens andersherum ein Schuh daraus würde. Aber was weiß der schon von der großen weiten Welt. Und im sogenannten Weißbuch mit den neuen Direktiven für mehr Sicherheit steht ja „Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global.“

Aha, deshalb also Afghanistan und der Irak, Somalia und Mali usw. Vielleicht demnächst auch Libyen? Man könnte nun hoffen, wenigstens da sei Gott vor! Dessen Aufgabe hierbei der Bundestag übernehmen müsste. Doch Parlamentsarmee hin oder her – diese Hoffnung stirbt zuerst und dann sterben weiterhin deutsche Soldaten beim Auslandseinsatz. Welches Land, welche Region wurde denn in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch militärische Interventionen wirklich befriedet? In seinem Roman „Eine Art Held“ (1971) schrieb der Thriller-Autor John le Carré: „Im Kampf um den Frieden wird kein Stein auf dem anderen bleiben.“ Das ist zynisch, aber leider nur allzu wahr.

Die Partei „Die Linke“ kritisierte schon damals diese neue Sicherheitspolitik als pures deutsches „Großmachtdenken“ und sprach vom „Weißbuch für Aufrüstung und Krieg“. Es sind zwar einige Jahre ins Land gegangen, doch die Linke in Sachsen hält zumindest in dieser Frage den Kurs und spricht mit Blick auf die in Kürze über Sachsen-Anhalt und Brandenburg anrollenden Militärkonvois für „Defender Europe 2020“ von einer Provokation gegenüber Russland. Und ob es ihr gefällt oder nicht: Sie hat dabei die AfD an ihrer Seite. Denn auch deren sächsische Landtagsfraktion lehnt solche Truppenbewegungen durch den Freistaat ab.

Von den anderen Parteien sind bislang keine einschlägigen Stellungnahmen bekannt. Auch nicht von den einst friedensbewegten Grünen. Deren Chef Robert Habeck zeigte sich stattdessen kürzlich ein wenig geschichtsvergessen. In einem Interview mit n-tv sagte er, „Deutschland habe den USA viel zu verdanken, unter anderem die Befreiung vom Faschismus“. Den Amerikanern allein? Als werde nicht dieser Tage der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Sowjetarmee gedacht, deren Vormarsch sie vor 75 Jahren bis nach Berlin führte. Auf dem Reichstag wehte eine rote Fahne, nicht die Flagge mit den Stars and Stripes.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) meint, dass diese Truppentransporte der NATO richtig sind. Der Freistaat unterhalte trotzdem freundschaftliche Beziehungen zu Russland und er selbst plädiere doch für einen Abbau der Sanktionen. Ist das die Quadratur des Kreises? Oder ist es der sprichwörtliche Tanz auf der Rasierklinge? Wie heißt es so klangschön auf Latein (jedenfalls laut dem Kleinen Brockhaus, Ausgabe 1911): „Respice finem“ – Bedenke das Ende!

Hans-Georg Prause

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