Neue Straßenbahn aus Görlitz und Bautzen auf Testfahrt in Dresden

Die neue Straßenbahn mit der Bezeichng NGT DX DD, die in den Alstom- Standorten Görlitz und Bautzen hergestellt worden ist, absolviert gegenwärtig in Dresden ein umfangreiches Testprogramm. Da...

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Die neue Straßenbahn mit der Bezeichng NGT DX DD, die in den Alstom- Standorten Görlitz und Bautzen hergestellt worden ist, absolviert gegenwärtig in Dresden ein umfangreiches Testprogramm. Da es sich um ein neu entwickeltes Modell handelt, muss alles getestet und nach der BOStrab (der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen) zugelassen werden. Neben den allgemeinen Funktionskriterien spielen dabei auch die speziellen Anforderungen der Dresdner Verkehrsbetriebe eine Rolle. Im vorliegenden Fall sind das beispielsweise starke Steigungen und Gefälle im Streckennetz. Das neue Modell basiert auf den Ausschreibungskriterien aus Dresden, nutzt aber auch die Entwicklungsgrundsätze der Serie „Flexity Classic“, die in Bautzen schon seit 1999 hergestellt wird. Sowohl hier wie auch im diesmal einbezogenen Waggonbau Görlitz hat der Straßenbahnbau eine sehr lange Tradition.

Auch die vorhergehenden Serien neuer Dresdner Straßenbahnen waren seit 1995 in Bautzen hergestellt worden. Neu ist dieses Mal die größere Breite von 2,65 m, die aber erst kurz über den Drehgestellen durch eine Auswölbung im Wagenkasten erreicht wird. Bisher waren die Bahnen maximal 2,30 m breit. Im Innenraum entsteht dadurch mehr Platz – so ist eine Sitzanordnung 2+2 möglich. Bestehende Haltestellenanlagen müssen aber trotzdem größtenteils nicht umgebaut werden. Dagegen erfordert die größere Breite einen weiteren Gleismittenabstand, damit sich Bahnen gefahrlos begegnen können. In dieser Hinsicht ist man in Dresden mit mehr als zwei Dritteln des Netzes schon recht weit, einige Abschnitte müssen aber noch umgebaut werden.

Die „Flexity Classic“ von DWA/ Bombardier/ Alstom sind so etwas wie eine große Straßenbahnfamilie. Deren einzelne Vertreter sind unterschiedlich lang und breit, aber immer (mehrgliedrig) klassische Drehgestellwagen. Das sorgt für einen guten Fahrkomfort, der viel höher ist, als bei Bahnen mit starren Achsen. Details im Fahrzeugaufbau und Design können variieren. Neben Deutschland verkehren sie auch in Australien, Polen und Schweden. Gegenwärtig stehen auch Fahrzeuge für Duisburg in den Auftragsbüchern des Herstellers. Mit 21 Metern sind die Dessauer zusammen mit den bauartgleichen in Halle/ S. und Plauen/ V. die kürzesten Flexity Classics, gut zu sehen auf dem Foto unten. Die mit 45 Metern längsten verkehren in Dresden und Leipzig, auf den Fotos oben ist rechts ein solches Dresdner Fahrzeug abgebildet.


Foto: DVB AG, „Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Front beider Bauarten“

Mit ganz besonderer Spannung wurde der 20. Dezember 2021 erwartet, an diesem Tag sollte die neue Bahn zum ersten Mal im Streckennetz auf Tour gehen. Der Betriebshof Gorbitz liegt linkselbisch auf halber Hanghöhe. Die Strecke weiter bergauf nach Pennrich ist die jüngste Neubaustrecke der Dresdner Straßenbahn und wurde 2008 eingeweiht. Pennrich ist der höchstgelegene Punkt des Gleisnetzes, abschnittsweise sind 60 km/ Geschwindigkeit erlaubt. So konnten sowohl Fahr- als auch Bremsverhalten unter die Lupe genommen werden, aufgrund der noch relativ neuen Gleise sogar bis zur bahnseitigen Höchstgeschwindigkeit von 70 Km/h. Um ein voll besetztes Fahrzeug zu simulieren, waren Eisengewichte und Sandsäcke mit an Bord. Das ist bei solchen Tests üblich. Außerdem ging es aber auch darum, ob die Bahn mit ihren neuartigen Abmessungen durch alle Kurven und Haltestellen passt, auch hier gab es keine Probleme. Das Fahr- und Bremsverhalten wurde mit einem hohen Aufwand an Kabeln, Anschlüssen und Rechnern dokumentiert. Die optische Unversehrtheit der Bahn einfach mit Aussteigen und einem „Augenblick“.


Foto: DVB AG, „Das Team zur Testfahrt ist umfangreich und reicht bis zum Betriebsvorstand“

In der Folgezeit fanden auch Fahrten im übrigen Dresdner Netz statt. Besonders interessant war noch der Test in der Nacht zwischen dem 23. und 24. Januar 2022 in Richtung Bühlau. Hier liegen die Gleise teilweise noch zu eng, deshalb musste man auf eine verkehrsarme Zeit ausweichen. Die Steigung zum Weißen Hirsch hinauf ist die größte im gesamten Dresdner Netz. Wieder mit voller Beladung – trotzdem konnte die Bahn am Berg mühelos anfahren und auch sicher zum Stehen kommen, selbst wenn eins der drei Bremssysteme ausfällt.

Parallel zu den Testfahrten und dem Zulassungsverfahren werden natürlich auch Fahrerschulungen durchgeführt. Selbst wenn die Bedienung der Bahn älteren Modellen ähnelt, unterscheiden sich Fahr- und Bremsverhalten letztendlich doch. Schließlich braucht der Mann (oder die Frau) an der Zugspitze jederzeit ein Gefühl für die „äußeren Ecken und Achsen“, das bei einem um 35 Zentimeter breiteren Fahrzeug durchaus ein anderes ist.

Pandemiebedingt haben sich die zeitlichen Abläufe zum Teil etwas verschoben. Im Januar 2020 konnten die Dresdner schon einmal in der neuen Bahn „Probesitzen“: Im Verkehrsmuseum Dresden wurde zunächst ein Holzmodell des vordersten Zugteils in originaler Größe ausgestellt. Zahlreiche Anregungen von Fahrpersonal und Fahrgästen fanden so noch im Projekt Berücksichtigung. Besonderes Augenmerk wird auch auf die Nutzbarkeit für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste gelegt. Bereits im August 2019 war der Rohbau des ersten Wagenkastens in Görlitz begonnen worden, im Dezember 2020 war er fertiggestellt. Der Innenausbau erfolgte danach im Werk Bautzen und am 17. September 2021 die Anlieferung nach Dresden. Abschließende Komplettierungen und Einstellungsarbeiten, die ersten Proberunden im Betriebshof führten schließlich zur beschriebenen Testfahrt am 20. Dezember 2021. Die hatte sich (gewollt) schon vorher herumgesprochen, was die zahlreichen Zuschauer aus allen Generationen beweisen. Das Interesse an der neuen Tram reißt auch weiter nicht ab, der erste Einsatz im Liniendienst ist nach derzeitigem Stand für den Mai vorgesehen.


Foto: DVB AG „Blick aus der testmäßig verkabelten Bahn: Der Nachwuchs ist auch bereits zur Stelle. Ob als zukünftiger Fahrgast, Straßenbahnfahrer oder Werkstattmitarbeiter ist noch nicht bekannt ….“

Insgesamt umfasst der Lieferauftrag 30 Fahrzeuge, darunter werden neun Zweirichtungswagen sein. Jede Bahn ist 43 Meter lang und kann 290 Fahrgäste befördern. Die Dresdner Straßenbahn leistet sich die neue Flotte in ihrem 150. Jubiläumsjahr und bis Ende 2023 soll die Lieferung abgeschlossen sein. Schon jetzt kann man ihnen gute Fahrt wünschen.


Foto Oliver Harloff, „Die kürzesten „Flexity Classic“ verkehren u.a. in Dessau. Der abgebildete Triebwagen 302, hier vor dem Bauhaus- Museum, ist genau 20 Jahre alt.“

Christoph Pohl

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