Nur wenige lärmen, zu viele schweigen

„Den Geist seiner Zeit kann man nur um den Preis seiner Geisteskrankheiten haben.“ Das lässt Rolf Hochhuth in dem Theaterstücke („Tod eines Jägers“) den lebensmüden Hemingway sagen. Vielleicht empfindet...

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„Den Geist seiner Zeit kann man nur um den Preis seiner Geisteskrankheiten haben.“ Das lässt Rolf Hochhuth in dem Theaterstücke („Tod eines Jägers“) den lebensmüden Hemingway sagen. Vielleicht empfindet David Vandeven, der Inhaber des Senders Ostsachen TV, derzeit ähnlich. Nein, er wird sich nicht von seinem Studiosofa stürzen. Aber er dürfte enttäuscht sein. Dabei hatte er nur versucht, in Bautzen eine Kundgebung unter dem Motto „Miteinander statt nebeneinander – Gegen Gewalt und Extremismus“ zu organisieren.

Aktueller und wichtiger kann kaum ein Thema sein. Trotzdem gab es in den sozialen Medien neben unterstützenden Tweets für David Vandeven auch einen schlimmen Shitstorm, der von ihm zunehmend als bedrohlich empfunden wurde. Zudem sorgte die veröffentlichte Meinung vor Ort für starken Gegenwind. In der „Sächsischen Zeitung“ gaben vier bei einer Abstimmung unterlegene Stadträte den Ton an. (Mehr dazu im weiteren Text.) Andere Stellungnahmen einzuholen, hielt die Redaktion wohl nicht für erforderlich. (Deshalb dieser Lesetipp: „Deutsche wünschen sich objektiv vermittelte Nachrichten“) Nur zu verständlich, dass Vandeven darin auch noch eine Vorverurteilung durch die lokale Presse sah.    

Was vorige Woche so alles passierte, darüber redet er ganz offen und durchaus selbstkritisch in einem Video – zu sehen bei Ostsachen TV, wo denn sonst. Er spricht rund eine halbe Stunde in eigener Sache. Sonst lädt er sich für die Reihe „Sofatalk“ stets Gäste ein. Bei deren Auswahl gibt er sich thematisch wie politisch offen.

Aber genau das wird ihm von jenen zum Vorwurf gemacht, die das Wort Toleranz nur im Mund führen. Sie wollen nicht mehr „miteinander reden“ und vermummen sich, statt „Gesicht zu zeigen“. Selbst die so sympathische Losung „Herz statt Hetze“ wird bei ihnen auch schon mal zu einer False Flag-Aktion. Jüngstes Beispiel war unlängst auf der B 96 eine teils bizarre Roadshow, ein ganz linkes Ding. Die „SZ“ kam nicht umhin, zwei Tage später zu erklären, was da abging: „Wirklich eine Karawane der Vernunft?“ Sie tat das so ausführlich wie einseitig.

Doch zurück zu der geplanten Veranstaltung gegen Extremismus in Bautzen. Hier waren es vordergründig die angekündigten Redner, die für einen verbalen Rundumschlag herhalten mussten: Die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld und der Kabarettist Uwe Steimle hätten sich „an den rechten Rand“ der Gesellschaft bewegt. Julia Szarvasy von Nuoviso TV moderiert bei einem You Tube-Kanal „für Verschwörungstheorien“. Und David Vandeven hatte doch schon Leute bei sich im Studio, die „mit den Reichsbürgern sympathisieren“. Das jedenfalls stand so in Artikeln der lokalen „SZ“, die an vier aufeinander folgenden Tagen veröffentlicht wurden. Doch selbst wenn man es so oft wiederholt, wird es dadurch nicht richtig. Und unverblümt gesagt: Das sind Plattitüden ohne Sinn und Verstand. 

Für Christian Haase vom Bürgerbündnis Bautzen, der auch als Redner vorgesehen war, ließ sich wohl kein stigmatisierender Zusatz finden. Sein Engagement gegen Extremismus ist über jeden Zweifel erhaben und schließt vor allem keinen aus. Außerdem hatte Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) zugesagt, ein Grußwort zu halten. SPD-Stadtrat Roland Fleischer sekundierte ihm in der „SZ“ (17.6.): „Der OB kann sich sehr wohl dort äußern und er wird das auch kritisch tun.“ Das erklärte Fleischer, obwohl er sich kurz zuvor noch gegen eine ideelle Unterstützung diese Kundgebung ausgesprochen hatte.  

Ganz so einseitig wie behauptet, war das alles also gar nicht. Warum haben eigentlich z.B. die Grünen und die Linke nicht darauf bestanden, ebenfalls bei der Kundgebung sprechen zu können? Weil sie dafür ihre ideologische Komfortzone hätten verlassen müssen? Aber so komfortabel ist diese nicht mehr. Man schaue nur auf die Ergebnisse der Kommunalwahlen im vorigen Jahr. 

Doch wen wundert’s, dass David Vandeven angesichts so massiver Anfeindungen letztlich alles absagte. Vorerst jedenfalls. Vor allem dürfte er den unterstützenden Beistand der bürgerlichen Stadtgesellschaft vermisst haben. Diese muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mal wieder vorgeführt wurde. Wie heißt es so treffend: Zehn Leute, die reden, machen mehr Lärm als Tausende, die schweigen. Manchmal reichen sogar vier …, wenn die (mediale) Macht mit ihnen ist.   

Das alles ist denkbar peinlich für eine Stadt, die sich an dem von der Bundesregierung geförderten Programm „Partnerschaft für Demokratie“ beteiligt. Nicht zuletzt geht es dabei auch um finanzielle Zuschüsse für Vereine, Veranstaltungen und Projekte. Deshalb gibt es einen lokalen Begleitausschuss (kurz BgA). Dieser entscheidet mehrheitlich über die Vergabe der Fördergelder. Er besteht aus Stadträten und berufenen Bürgern.

Auch David Vandeven gehört dem BgA an. Das ermöglichte es ihm, kurzfristig einen Antrag einzureichen. Die Geschäftsordnung lässt das zu. Denn dabei ging es nicht um Geld für die Veranstaltung „Miteinander statt nebeneinander – Gegen Gewalt und Extremismus“, sondern allein um deren ideelle Unterstützung. Diese sollte Ausdruck finden durch die Verwendung des „Partnerschaft für Demokratie“-Logos. Wohl kein unbilliges Anliegen, sollte man jedenfalls meinen.

Die Abstimmung, an der sich Vandeven selbst nicht beteiligte, ging mit 9:4 eindeutig aus. Doch was hat das heutzutage schon zu sagen! Die unterlegenen Mitglieder des BgA gaben eine Erklärung ab  – für die SPD-Fraktion tat das übrigens Roland Fleischer, obwohl er dem Ausschuss gar nicht mehr angehört –, und dann suchten sie über die lokale Tageszeitung die Öffentlichkeit. Auch via Internet wurde mobil gemacht. Man war einfach nicht bereit, die im Ausschuss demokratisch getroffene Entscheidung zu akzeptieren. Was daraus wurde, war bereits weiter oben zu lesen.

Irgendwie fragt man sich im Nachhinein, wie alles so kommen konnte, wie es kam. Mitunter scheint selbst der Zeitgeist von allen guten Geistern verlassen zu sein.   

Hans-Georg Prause

PS: Der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens äußerte sich am Dienstag (23. Juni) auf dem Internetportal der Stadt zu der abgesagten Kundgebung gegen Gewalt und Extremismus. Diese durchaus bemerkenswerte Wortmeldung finden Sie unter dem Link https://www.bautzen.de/presse/2020-286/.

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