Weniger Angst, mehr Aufklärung

Wow! Die Kanzlerin warnt vor einem „todbringenden Weihnachtsfest“. Das zur RTL-Mediengruppe gehörende n-tv überschrieb so einen Bericht von der jüngsten Bundestagsdebatte, bei der es um den verschärften Lockdown und...

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Wow! Die Kanzlerin warnt vor einem „todbringenden Weihnachtsfest“. Das zur RTL-Mediengruppe gehörende n-tv überschrieb so einen Bericht von der jüngsten Bundestagsdebatte, bei der es um den verschärften Lockdown und einen überschuldeten Staatshaushalt ging. Es ist aber zu befürchten, dass hinter dieser verbalen Angstmacherei nicht nur eine besonders perfide Form von Clickbaiting steckt, also der Jagd nach möglichst hohen Zugriffszahlen, um Werbung besser verkaufen zu können. Denn die über eine Abgabenpflicht alimentierten öffentlich-rechtlichen Medien sind keinen Deut besser.

Auch sie „verbreiten Angst“ statt Aufklärung. So äußerte sich jüngst der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki – kein Hinterbänkler, sondern ein Vizepräsident des Bundestages – bei WELT online. Insbesondere ARD und ZDF würden, nicht nur bei der Corona-Krise, „mit Hysterie reagieren“. Seine Einschätzung korrespondiert in vielen Punkten mit einer einschlägigen Studie der Uni Passau. Stichworte: Massenmedialer Tunnelblick, eine Verengung der Welt.

Da ist es eher erstaunlich, dass laut einer von Infratest dimap Anfang Dezember bundesweit durchgeführten Umfrage nur rund 42 Prozent der Befragten sehr große (10 Prozent) bzw. große Angst davor haben, sich mit Covid-19 anzustecken. Jeder Fünfte (21 Prozent) sieht darin sogar lediglich eine kleine Gefahr. Wahrscheinlich verfolgen sie selbst die aktuellen Zahlen des Robert Koch-Institutes (RKI) und lassen sich diese nicht von anderen auswählen und aufbereiten. Schon der Schriftsteller Marcel Proust (1871-1922) wusste: „Der Zweifel ist dein bester Freund.“

Was ihnen jedoch nun wenig hilft. Jetzt ziehen jene, die auf dem hohen Regierungsross sitzen, die Zügel hart an und nehmen fast ausnahmslos alle an die Kandare. Das Zuckerbrot in Form von großzügiger finanzieller Ruhigstellung wird eben knapp. Da bleibt nur die Peitsche. Diese wird mehr oder weniger heftig geschwungen. Es ist ein ausgesprochenes Pech für die Sachsen insgesamt und insbesondere für jene, die in der Oberlausitz leben, dass sich der CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer dabei als besonders williger Zuchtmeister erweist.

Bereits die von ihm Anfang dieser Woche angekündigten Lockdown-Maßnahmen waren unpatriotisch. Das wussten Sie noch nicht? Ja, man darf oder soll wieder Patriot sein! Nicht nur Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach schon im Sommer in einem Interview mit der Südwest Presse von „Corona-Patriotismus“ (nachzulesen auf der Homepage seines Ministeriums), sondern erst kürzlich bezeichnete Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gegenüber BILD den „Erhalt des stationären Handels“ als eine „nationale, ja auch eine patriotische Aufgabe“. Sogar die linke Tageszeitung „taz“ pflichtet ihm bei, stößt sich politisch korrekt nur an der Wortwahl: „Solidarisch shoppen reicht“.

Aber ob nun patriotisch oder solidarisch: Die schwarz-bunte Regierung des Freistaates Sachsen ist beides nicht. Der Einzelhandel muss – mit wenigen Ausnahmen – bereits ab dem kommenden Montag schließen. Diesen mittelständischen Unternehmern das Weihnachtsgeschäft zu vermasseln, ist nicht einmal dem Corona-Hardliner Markus Söder (CSU) eingefallen. Die Bayern heben sich das trotz ähnlich komplizierter Lage für die Zeit nach dem Fest auf. Kretschmer aber beschenkt damit vorzeitig den großen Internethandel. Für die Geschäfte vor Ort heißt das (bitterer Sarkasmus!): Schöne Bescherung!

Da passt es bestens ins Bild vom sächsischen Musterknaben, dass die Landkreise Görlitz und Bautzen es gar nicht abwarten konnten und bereits ab Donnerstag das alltägliche Leben per Verordnung drastisch einschränkten. Zwischen den Zeilen der dazu kurzfristig veröffentlichten Mitteilung konnte man blanke Verzweiflung herauslesen. Doch beim Corona-Gipfel von Bund und Ländern am Wochenende wird Sachsen damit gut dastehen. Inzwischen läuft es ja bundesweit auf einen früheren großen Lockdown heraus. 

Nur werden eben selbst die verfügte allgemeine Maskenpflicht auf allen Straßen und Plätzen und die erweiterten Kontaktverbote im Alltag nicht die brisante Situation in Alten- und Pflegeheimen und in Krankenhäusern verbessern. Diese brauchen zur Unterstützung jede helfende Hand, jeden klugen Kopf, jeden einzelnen Euro, jede taugliche Maske. Was aber schon lange bekannt war! Doch für wen das Gesundheitswesen in erster Linie eben nur ein Kostenfaktor ist …

Die Schuld für die derzeitige Infektionslage den sogenannten Corona-Leugnern und Masken-Muffeln zuzuschieben, ist zwar wesentlich billiger, aber letztlich umsonst. Weil das nur zu durchschaubar ist. Als im ersten Halbjahr der Westen auf den Corona-Karten dunkelrot markiert war, kam keiner auf die Idee, dafür sei in Bayern die CSU, in Nordrhein-Westfalen die CDU und in Baden-Württemberg die Partei der Grünen verantwortlich. Auch die Corona-kritischen Querdenker, man nehme nur die Stuttgarter Mutbürger, sind keine explizit ostdeutsche Bewegung.   

Schaut man sich die neuen, die vorgezogenen Maßnahmen etwas genauer an, so fällt auf, wie praxisfern manches ist. Man soll die eigene Wohnung nicht ohne wichtigen Grund verlassen? Nun, ein solcher dürfte sich finden lassen. Was soll ein Ausgangsverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr bringen? Wer ist da noch draußen unterwegs? Wo doch Kino und Theater, Gaststätten und Klubs geschlossen sind.

Und auch wenn es nicht so sehr viele berührt: Bei den Gottesdiensten ist jetzt die Einnahme von rituellen Speisen und Getränken verboten. Da muss jemand gehört oder gelesen haben, dass es beim christlichen Abendmahl um Brot und Wein geht. Nur dürfte sich schwerlich jemand bei der Gabe der kleinen Hostie infizieren. Der Kelch wird überhaupt eher selten gereicht. Wer diesen Passus in die neue Verordnung geschrieben hat, war von allen guten Geistern verlassen, nicht nur vom Heiligen Geist.    

Nun ist es von Spiritualität nur ein kleiner Sprung bis zu Spirituosen. Wussten Sie schon, dass auch ein Verbot von Alkohol „im öffentlichen Raum“ erlassen wurde? Wahrscheinlich, weil es ja derzeit urgemütlich ist, bei Temperaturen um die null Grad draußen was zu trinken. Dass die Weihnachtsmärkte mit ihren Glühweinständen längst abgesagt wurden, dürfte sich herumgesprochen haben. Es ist diese inhaltliche Redundanz, welche solche An- und Verordnungen, ob nun „light“ oder hart, so wenig überzeugend macht. Was alles auf Kosten der Akzeptanz geht.  

Ist es nicht erbaulich, in der Adventszeit solche selbstgefälligen Durchhalte-Parolen wie diese von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer zum harten Lockdown zu lesen: „Das wird man ja wohl aushalten können.“ Aber „Die Deutschen verlieren die Zuversicht“, das ergab eine aktuelle Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach in der Altersgruppe 30 bis 59 Jahre. Ob es da hilfreich ist, „autoritäre Maßnahmen“ des Staates zu fordern, dürfte Ansichtssache sein. Aufklärung hin oder her – das alles kann einem nun wirklich Angst machen.  

Hans-Georg Prause

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