Wie der Krieg wieder salonfähig wird

Wenn der Krieg „der Vater aller Dinge“ ist, wie es vor langer, langer Zeit Heraklit von Ephesos behauptete, dann hat man ihm – also dem Krieg, nicht Heraklit...

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Wenn der Krieg „der Vater aller Dinge“ ist, wie es vor langer, langer Zeit Heraklit von Ephesos behauptete, dann hat man ihm – also dem Krieg, nicht Heraklit – viele Bastarde in vielerlei Gestalt untergeschoben. Darunter waren sogar, man möge den Ausdruck verzeihen, schlimme Missgeburten. Was aber die Menschheit nicht dazu gebracht hat, den Krieg als solchen zu ächten. Auch die russische Ukraine-Invasion hätte eventuell durch offene Verhandlungen, gegenseitiges Verständnis und ein Minimum an Vertrauen verhindert werden können. Bei Carl von Clausewitz (1780-1831) steht es doch unmissverständlich geschrieben: „Die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden.“

Aber anstatt das im Vorfeld zu überdenken, führte der Weg auf das Schlachtfeld. Dass der Krieg nur noch „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, wie es in dem Buch „Vom Kriege“ des preußischen Generalmajors auch heißt, wurde und wird allzu gern als Freibrief dafür genommen, mit militärischer Macht „die Dinge“ zu regeln. Womit sich Clausewitz postum einmal mehr bestätigt sehen kann: „Selten ist in Europa überall Frieden, und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus.“

Es soll ja Leute geben, die meinen, dass die auf Putins Befehl in die Ukraine einmarschierenden Truppenverbände einen über Jahrzehnte währenden Frieden in Europa gebrochen haben. Als hätte es nicht die Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren gegeben. Als sogar die NATO militärisch eingriff und auch die Bundeswehr involviert war. Bomben auf Belgrad – das alles ohne UNO-Mandat.

Damals versicherte die rot-grüne Regierung aber allen, die es hören und glauben wollten, dass „wir“ auf der richtigen Seite stehen. Rudolf Scharpings „Hufeisenplan“ war allerdings ein Märchen, Joschka Fischers „Nie wieder Auschwitz“ eine Schauermär.

Es ist ja bekannt, dass die Wahrheit das erste Opfer eines jeden Krieges ist  (Aischylos). Direkt berühmt-berüchtigt sind jene ominösen Bio-Waffen, die 2003 den USA und Großbritannien der Vorwand für einen Krieg gegen den Irak waren. Völkerrechtlich gesehen war es ein Angriffskrieg. Wenn gerade sie jetzt Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine verurteilen, ist das zwar richtig, aber auch ein gutes Stück scheinheilig.

Umso erstaunlicher, dass sich damals Deutschland aus der Sache raushalten konnte; der erste Schritt zur Freiheit ist es, frei nach Nicolas Chamfort (1741-1794), „Nein!“ zu sagen. Bundeskanzler war seinerzeit übrigens Gerhard Schröder. Da glaubte man fast schon an eine Auferstehung der SPD-Friedenspolitik. Derzeit aber ist er als Putin-Versteher abgemeldet. Dass ihm jetzt sogar der Versuch vorgeworfen wurde, in Moskau zu vermitteln, passt ins eher auf verbale Kraftmeierei angelegte Stimmungsbild. Dass die Ukrainer für diese weit weg vom Kriegsschauplatz verkündeten Durchhalteparolen mit Flucht, Vertreibung und oft ihrem Leben bezahlen, wird selten angesprochen.  

Mit Bildern vom neuen Kriegsschauplatz Ukraine hatte es BILD am eiligsten. Das neue TV-Programm des Boulevardblattes zeigte bereits am 24. Februar, also dem ersten Tag des Krieges, mit aktuell unterlegten Kommentaren Aufnahmen von brennenden Häusern und einem blauen Himmel voller Fallschirmspringer. Dass da Bildmaterial von einer Explosion in Tianjin (China) vom 12.08.15 und Fallschirmjäger bei einer Übung im russischen Rostow vom März 2014 gezeigt wurden, gab man zwar zu, tat es jedoch auf Twitter ganz kurz als bedauernswertes Versehen ab.

Damals musste BILD TV noch improvisieren. Inzwischen sind Zeitungen, Fernsehen, Internet voll von Berichten über den Kriegsalltag in der Ukraine. Was davon als echt verifizierbar ist – ja wer weiß das schon. Letztlich befinden wir uns im Stande des Nichtwissens. Aber trotzdem schaffen es die Redaktionen, damit viele Seiten zu füllen und inflationär Brennpunkte zu gestalten. Der Krieg wird in Talkshows wieder salonfähig gemacht. Kalte Krieger laufen heiß. Aus Pandemie-Erklärern wurden blitzkriegsschnell Militär-Experten.

Ja, die mediale Glut will geschürt werden. Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Und der Brandstifter heißt Putin. Dieser ist sowieso ein Gottseibeiuns. Ein Beispiel: Am 6. März bei einem „Kalenderblatt“ von MDR Kultur, in dem es eigentlich um den 85. Geburtstag der Kosmonautin Walentina Tereschkowa ging, schaffte es der Moderator, auch den „furchtbaren Putin“ im Text unterzubringen. Da es ein Radiobeitrag war, muss offen bleiben, ob er dabei dreimal über die Schulter gespuckt hat.

Ein harmloser, nur zufällig mitgehörter Einzelfall? Mitnichten! Reem Alabali-Radovan, die Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung, zeigt sich besorgt über zunehmende Beleidigungen von Russen und russischstämmigen Menschen. Nicht wenige von diesen trauen sich schon nicht mehr, öffentlich in ihrer Sprache zu sprechen. In Berlin-Marzahn wurde sogar Feuer an einer deutsch-russischen Privatschule gelegt.

Aber die Russen sind ja sowieso an allem schuld. Hohe Heizkosten, teure Kraftstoffe, leere Regale, steigende Inflation, entwertete Sparguthaben … Als ob sich das alles nicht schon im zweiten Halbjahr 2021 abgezeichnet hätte. Doch damals wurde es als kurzzeitige Marktirritationen abgetan. Eine spürbare Entlastung für die Verbraucher gibt es hierzulande aber nicht. Laut Bundesfinanzminister Linder (FDP) müsse sich der Bürger eben das Tanken vom Munde absparen.

Außerdem können wir doch ruhig mal etwas Frieren für die Freiheit, das meinte Altbundespräsident Joachim Gauck bei „Maischberger“. Und als hätte es die Corona-Entbehrungen für die Bürger nicht gegeben: „Wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“ Wie borniert klingt dieses „wir“ aus dem Munde eines alten weißen Mannes, der nicht nur laut Sahra Wagenknecht monatlich 17 800 Euro Ehrensold bezieht, sondern auch noch Büros belegt und Mitarbeiter beschäftigt – auf Staatskosten, das versteht sich.

Und was gab es noch? Nun, Deutschland fühlt sich wieder erst genommen, und da wird es gefährlich. „Europas schlafender Riese erwacht“ , so titelte das US-Magazin „The Atlantic“ nach Scholz‘ Ankündigung der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Aha, flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl – na gut, wenigstens wie Rheinmetall. Dort schoss, weil wieder geschossen wird, der Aktienwert in unerwartete Höhen. Die militärische Aufrüstung getarnt als Arbeitsbeschaffung. Über eine neue Wehrpflicht und/oder ein Ersatzdienst wird ebenfalls gesprochen. Selbst Atomwaffen sind kein Tabu mehr.

Manches erinnert da an die Fabel vom naiven Frosch, der mit einem giftigen Skorpion auf seinem Rücken über den See schwamm. Weil dieser ihn mitten auf dem Wasser niemals stechen würde … Doch der tat es. Er konnte nicht anders. Selbst bei Strafe seines eigenen Untergangs. 

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