Wählen Sie lieber die Grünen (Ironie!)

„Deutschland, du kotzt mich gerade so an …“ Also alle Achtung, das ist mal eine klare Aussage. Es liest sich nur etwas merkwürdig, wenn das eine „Botschafterin für...

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„Deutschland, du kotzt mich gerade so an …“ Also alle Achtung, das ist mal eine klare Aussage. Es liest sich nur etwas merkwürdig, wenn das eine „Botschafterin für Demokratie und Toleranz“ twittert. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass sich Annalena Schmidt für einen früheren Tweet, nun ja, entschuldigt hat. „Ich könnte kotzen, heulen oder was auch immer. Ggf. auch alles gleichzeitig. Ich muss in der ätzenden Stadt aber morgen wieder arbeiten …“ Damit meinte sie Bautzen, also die Stadt, in der sie seit einigen Jahren lebt. Doch dieser dokumentierte Ausbruch persönlichen Frustes (warum nur twittert man solche Befindlichkeiten?) liegt weit über ein Jahr zurück. Inzwischen will Annalena Schmidt, dem eigenen Bekunden nach, in diesem Frühjahr in der „ätzenden Stadt“ bei den Kommunalwahlen sogar für den Stadtrat kandidieren.

Ob dabei ein „Deutschland, du kotzt mich gerade so an …“ hilfreich ist, sei mal dahingestellt. Irgendwie kommen einem unwillkürlich Bilder schwarzvermummter Antifa-Jungmänner in den Sinn, die bei ihren Aufmärschen auch schon mal Banner wie „Deutschland halt’s Maul“ vor sich her tragen. Doch das ist ja längst akzeptierter Politjargon von Straßenjungs. Selbst ein Transparent mit der Aufschrift „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ ist keine Verunglimpfung des deutschen Staates, das meinte jedenfalls eine Berliner Staatsanwaltschaft bereits im Sommer 2015.

Inzwischen ertönt allerdings hier und da der Ruf nach einer „verbalen Abrüstung“. Nur dürfte er leider ungehört verhallen – es ist schließlich Wahljahr. Da werden Maulhelden sogar auch mal handgreiflich, siehe kürzlich Bremen. Namhafte Politiker „aller Parteien“ verdrücken danach ein paar Krokodilstränchen. Doch bald gehen sie zur Tagesordnung über – der Beschimpfung des politischen Gegners. Zumal es die ach so undankbaren Ostdeutschen sind, die dieses Jahr wählen dürften. Und das selbst dreißig Jahre nach dem Anschluss auch noch freien Willens tun! Das könnte ein flotter Landtagsdreier mit kommunalen Vorspielen werden. In den viel länger schon domestizierten, politisch etwas prüden alten Bundesländern gab und gibt es das nicht so oft. Aber selbst dort ist manches nicht mehr so, wie’s mal war.

Was war es denn eigentlich, was Annalena Schmidt so übel aufstoßen ließ? Der eingangs zitierte Satz wurde am Abend des 3. Januar gepostet. Da lagen bereits die ersten belastbaren Ergebnisse der Ermittlungen zu den verstörenden Ereignissen der Silvesternacht in Bottrop und Essen vor: Ein Mann war mit seinem Auto gezielt in Menschengruppen gefahren. Es gab acht Verletzte. Der Einzeltäter hatte aus fremdenfeindlichen Motiven gehandelt. Das wurde so auch publiziert. Ja, es kann einem schon schlecht werden, wenn man so was lesen muss. Nur dürfte es nicht der Sachverhalt an sich gewesen sein, der die junge Frau Schmidt „angekotzt“ hat. Sie twitterte auch nichts von Mitgefühl mit den Opfern. Stattdessen schimpfte sie wie ein Rohrspatz (das passt ja zu Twitter): „Nein! Es war ein Rassist, der einen terroristischen Anschlag begangen hat!“

Es genügte ihr wohl nicht, dass gegen den festgenommenen Fahrer ein Haftbefehl wegen mehrfachen versuchten Mordes erlassen wurde. Keine Demo gegen Rechts? Keine Lichterketten? Nur gut, dass es immer nur die anderen sind, die solche und ähnliche Vorfälle für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren wollen. Also etwa die tätlichen Angriffe von vier jungen Migranten auf Passanten in Amberg. Es gab dabei laut Polizeipräsidium zwölf Verletzte im Alter zwischen 16 und 42 Jahren. Das geschah fast zur gleichen Zeit, es war am Wochenende vor Silvester.

Erst rund zwei Wochen ist das alles her; die Halbwertszeit für Empörung im Netz liegt deutlich darunter. Der bislang jüngste Hype (was eigentlich für „Übertreibung“ steht, doch nicht als solche wahrgenommen wird) lautet #nazisraus bei den Hashtags. Dieser geht zurück auf einen kurzen Neujahrs-Tweets der ZDF-Reporterin Nicole Diekmann. Nun sind diese zwei Worte für sich genommen keinerlei Aufregung wert. Wäre da nicht die etwas laxe Antwort der jungen Journalistin auf die sie dazu erreichende Nachfrage: „Wer ist denn für Sie ein Nazi?“ Bekanntlich wird dieses Schlagwort rege genutzt und durch diese inflationäre Verwendung eigentlich verharmlost. Jemand, der für öffentlich-rechtliche Medien arbeitet, sollte das wissen. Aber gut, es war am Tag nach Silvester …, als Nicole Diekmann die Antwort postete: „Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt.“

Oho, jeder der nicht die Grünen wählt, ist also ein Nazi. Wen wundert es, dass das nicht unwidersprochen bleibt. Und dass manch eine Replik darauf nicht druckreif ist, verwundert noch weniger. Doch anstatt die darüber recht bemüht anmutende Empörung einfach abebben zu lassen, wurde kräftig auf das trübe Wasser gehauen, um die Wellen noch höher schlagen zu lassen. Bald schon hatten Zeitungen, Funk und Fernsehen das Thema aufgegriffen und allesamt kein Problem damit, den Shitstorm allein der kategorischen „Nazis raus!“-Forderung zuzuordnen. Die in diesem Kontext prekäre Aussage, „Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt“ ist ein Nazi, wird unterschlagen oder nur beiläufig erwähnt. Bei Deutschlandfunk Kultur hieß es zum Beispiel gleich zu Beginn: „Nachdem sie wegen eines „Nazis raus“-Tweets bedroht wurde …“ (Jenes Tweets, der laut ARD „den ersten Platz in den deutschen Twitter-Trends erreichte“. Wow! Was es alles so gibt!)

Selbstverständlich zwitschert da auch eine Annalena Schmidt mit. Sie bekennt sich zu der Losung „#nazisraus immer und überall“. Ihr ganz persönlicher Standpunkt: „Wenn man gegen Nazis ist, ist man nicht intolerant, sondern normal!“ Kaum jemand wird eine solche Haltung der Botschafterin für Demokratie und Toleranz ankreiden. Doch wenn es dann heißt: „Das sollte man in #Sachsen und gerade in #Bautzen dem einen oder anderen Politiker nochmal sagen …“, stellt sich auch hier und bei ihr die Frage: Frau Schmidt, wer sind denn für Sie heutzutage Nazis? Zum Beispiel in Bautzen, wo Sie leben und arbeiten. Vielleicht jene Bürger, die hier seit einigen Wochen erneut auf die Straße gehen, um gegen die Folgen der Migrationspolitik der Bundesregierung zu protestieren? (Und das wieder am 13. Januar, 15.30 Uhr, auf dem Kornmarkt tun werden). Oder auch gleich alle, „die nicht Grün wählen“?

Die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann bedauert inzwischen, dass ihre ironische Formulierung nicht für jeden und jede als solche erkennbar war („SZ“ vom 9. Januar, Seite 2). Sie habe das auf Twitter klargestellt. Was die Bautzener Bloggerin nun – ihren „#nazisraus“- Tweet ergänzend – ebenfalls tun könnte. Und wenn sie selbst mal zum Stilmittel der Ironie greifen möchte: Besser gleich als solche deutlich machen! Bei Sätzen wie „Deutschland, du kotzt mich gerade so an …“ hilft allerdings selbst das nicht.

Hans-Georg Prause

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