Russland verstehen, ist das schlecht?

Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die von Leuten, die die Welt nie angeschaut haben. Vielleicht wird Alexander von Humboldt dieser Aphorismus nur zugeschrieben; vielleicht hat er das so...

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Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die von Leuten, die die Welt nie angeschaut haben. Vielleicht wird Alexander von Humboldt dieser Aphorismus nur zugeschrieben; vielleicht hat er das so nie gesagt. Aber der deutsche Freiherr lebte es vor. Seine Studien über andere Länder, über andere Völker machte er nicht aus der Ferne, sondern er wollte sie vorher sehen, sie erleben. Unvorstellbar, dass er sich zum Beispiel ein Urteil über das heutige Russland angemaßt hätte, ohne dort gewesen zu sein, ohne Land und Leute zu kennen.

Ganz im Gegensatz zu all jenen oft selbsternannten Experten, die heutzutage gern wieder einen Eisernen Vorhang zur Abschottung gegen „den Osten“ herunterlassen möchten. Dabei könnten sie bei der ehemaligen TV-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz („Eiszeit“, Verlag C H. Beck) nachlesen, warum es so gefährlich ist, Russland zu dämonisieren. Dieses Europa reicht nun mal bis zum Ural und das nicht nur rein geografisch gesehen. Daran ändert auch politische Borniertheit nichts. Wer jedoch guten Willens ist, der sollte sich die Ausstellung „Druschba – Gesichter Russlands“ ansehen, die bis zum 9. Mai in der Volksbank Dresden-Bautzen auf der Goschwitzstraße besichtigt werden kann.

Diese Fotoschau hat eine kleine Vorgeschichte, welche jüngeren Datums ist. Erst vor einigen Wochen wurde im Rahmen einer festlichen Veranstaltung im Deutsch-Sorbischen Volkstheater einer der „Bautzner Friedenspreise“ an Prof. Dr. Rainer Rothfuß verliehen und damit der Spiritus Rector der „Druschba“-Reisen nach Russland gewürdigt. Es begann 2016 mit der „Friedensfahrt“ auf der Route Berlin – Moskau, an der sich 235 Menschen beteiligten. Im Jahr darauf, bei der „Freundschaftsfahrt 2017“, waren über 340 Teilnehmer auf nun schon sieben verschiedenen Routen unterwegs. Und nicht nur, weil sprichwörtlich aller guten Dinge drei sind, sondern weil es um das friedliche Miteinander der Völker geht, fährt in reichlich zwei Monate der „Freundschaftszug 2018“ nach Moskau, von wo aus dann eine Sternfahrt in 15 russische Städte führt.

Für die Veranstalter der Russland-Reisen ist das „Geopolitik von unten“. Daran lehnte sich thematisch ein Podiumsgespräch zur gut besuchten Eröffnung der Fotoausstellung in der Bautzener Volksbank an. Dieses Kreditinstitut war zuvor schon mehrmals Gastgeber für die „Bautzener Gespräche“ – ein Bürgerforum, das zum sachlichen Dialog auffordern will. Die Volksbank habe sich dabei schon immer auch schwierigen Themen gestellt, betonte der Vorstand Tilman Römpp in seinen Begrüßungsworten. Und das bestimmt nicht ohne guten Grund. Denn so widersinnig es sein mag: Es ist hier und heute fast schon ein Politikum, wenn vorurteilslos Russland zum inhaltlichen Gegenstand einer Veranstaltung gemacht wird. Teils recht obskure Anfeindungen bekommt man da frei Haus.

Der kalte Krieg feiert fröhliche Urständ. Zu viele Kinder einer noch im Geiste der kalten Krieger von einst erzogenen Generation haben es mit den Jahren wieder an die Schaltstellen der Macht geschafft. Und so mancher verzogene Enkel plappert ihnen die alten Hassparolen nun einfach nur nach, anstatt darüber nachzudenken. Wer das politisch und medial karikierte Feindbild nicht akzeptiert, sondern sich gern selbst ein Bild machen möchte, der macht sich verdächtig. Es gibt leider Leute, für die das Wort „Russlandversteher“ tatsächlich ein Schimpfwort ist. Nicht selten sind das jene, die für sich selbst in Anspruch nehmen, weltoffen und tolerant zu sein. Dabei verschanzen sie sich hinter einer Art ideologischer Wagenburg-Mentalität. Das ist schlicht und einfach schizophren. Zumal diese grassierende Russophobie nichts, aber auch gar nichts mit durchaus legitimer sachlicher Kritik an der Politik Russlands zu tun hat.

Wer jedoch so kleingeistig denkt, sofern er das überhaupt tut, der ist stets auch offen für in gewissen Social Media-Blasen kursierende Verschwörungstheorien. Bislang zwar nur hinter vorgehaltener Hand, aber mit einem schon bizarr anmutenden Eifer, wird da in Bautzen zum Beispiel den Organisatoren der bekannten Vortragsreihe „Von Bürgern für Bürgern“ und nun auch dem Kreis der Initiatoren der Fotoschau „Druschba – Gesichter Russlands“ eine gedankliche Nähe zu den sogenannten Reichsbürgern unterstellt. Das ist genauso unqualifiziert wie die unsinnige, weil diffamierend gemeinte Wortbildung von der „Friedensquerfront“. Gemeinsam Front machen für den Frieden und gegen den Krieg – was soll daran verwerflich sein?!

Viel schlimmer ist es doch, dass sich die einstmals so starke deutsche Friedensbewegung derart spalten ließ. Das gab an dem Abend in der Volksbank der Filmproduzent Wilhelm Domke-Schulz zu bedenken. Mit ihm im Podium saß neben weiteren Gästen auch Tino Eisbrenner, der einst mit der Band „Jessica“ frühe Pop-Erfolge feierte. Inzwischen bereist er als Sänger die Welt, Russland inklusive, und möchte mit seinen Liedern die Herzen der Menschen erreichen. Außerdem rief er die Initiative „Musik statt Krieg“ ins Leben. Vielleicht ist das alles ja nur ein frommer Wunsch eines idealistischen Menschen. Doch es ist allemal mehr, als tatenlos zu- oder aus Bequemlichkeit wegzusehen, wenn die Gefahr einer kriegerischen Konfrontation der NATO mit Russland beängstigend wächst. Die Europäische Union macht dabei den Steigbügelhalter der Militärs. „Panzer und Truppen sollen … künftig deutlich schneller quer durch Europa befördert werden können. Ein Plan der EU-Kommission sieht vor, dafür Straßen, Brücken und Schienennetze auszubauen.“ So meldete es der Nachrichtensender ntv am 28. März. Es gibt sogar schon einen diese Aufmarschpläne verharmlosenden Begriff: Militärisches Schengen.

„Statt Präventivkrieg brauchen wir Kriegsprävention“, das forderte Anfang 2003 der Limburger Bischof Franz Kamphaus. Damals positionierten sich Deutschlands katholische Bischöfe gegen einen Irak-Krieg: „Ein Angriffskrieg jeder Art ist sittlich verwerflich.“ Solche klaren Worte würde man heutzutage auch gern von kirchlichen Würdenträgern hören. Denn schon wieder wird mit einer Giftgas-Lüge, bei der bloße Behauptungen die konkreten Beweise ersetzen sollen, eindeutig Kriegspropaganda betrieben. Mit dem feinen Unterschied, dass damals eine selbstwusste Bundesregierung skeptisch war und es zu recht auch blieb. Heute dagegen gefällt sich die Große Koalition in längst vergessen geglaubter Nibelungentreue zur NATO.

Die noch bis zum 9. Mai in der Volksbank Dresden-Bautzen zu sehende Fotoschau „Druschba – Gesichter Russlands“ zeigt den Besuchern in der Kundenhalle und auf der Galerie im Obergeschoss ausgewählte Ansichten von einem großen Land, mit dem uns historisch und kulturell so viel verbindet. Fotografiert wurden sie von Teilnehmern der vorjährigen Russland-Fahrt. Es sind fast ausnahmslos emotional sehr berührende Porträts von Menschen, denen man gern ins offene Antlitz schaut. Und eines sind diese Bilder ganz bestimmt nicht: Feindbilder.

Hans-Georg Prause

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