Ein Jahr danach bei null Kompetenz

Nein, die Zeit heilt nicht alle Wunden. Manchmal schlägt sie neue und tiefe. Was ist geblieben von jener Zusage der Bundeskanzlerin, die vor einem Jahr zum Mantra der...

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Nein, die Zeit heilt nicht alle Wunden. Manchmal schlägt sie neue und tiefe. Was ist geblieben von jener Zusage der Bundeskanzlerin, die vor einem Jahr zum Mantra der Berliner Corona-Politik wurde: Man wolle beim Umgang mit dem Virus „Maß und Mitte“ einhalten. Schnell war es wieder vergessen. Aber damals bot sich das ironische Wortspiel vom Mittelmaß an. Aus heutiger Sicht wäre das fast ein Lob. 

Denn unter dem maßgeblichen Mittun von Angela Merkel wurden danach Einzelhandel, Kunst und Kultur, Tourismus und andere Lebensbereiche plattgemacht. Seit Monaten liegt das soziale Leben brach. Als ob eine erste und eine zweite Corona-Welle nicht genug Schaden angerichtet hätten, mutierte das zur Dauerwelle am politischen Horizont. Hilferufe von Betroffenen blieben meist ungehört. Um hier Benjamin von Stuckrad-Barre zu zitieren: „Ernst wird geguckt, ernst genommen aber gar nix.“

Erst kürzlich dachte der Kabarettautor Wolfgang Schaller in seinem „Satirischen Nachschlag“ für die Leser der „Sächsischen Zeitung“ nach über das verwirrende Zahlenspiel mit den Inzidenzwerten. Er schlussfolgerte, dass es damit wohl erst vorbei sei, wenn „die Politiker mit ihrer Kompetenz bei null“ sind. Eine satirische Pointe, sehr nah am Leben.

Frei nach Oscar Wilde sind viele Neider ein Zeichen für große Kompetenz. Ob aber irgendeiner Jens Spahn beneidet? Der fachfremde Politikwissenschaftler hält sich – nicht immer klug, nicht immer glücklich – an der Spitze des Bundesministeriums für Gesundheit. Blättern wir auch hier mal ein rundes Jahr zurück. In einem Gespräch mit WELT online am 1. März 2020 versicherte er tatsächlich, man habe das Corona-Virus vom ersten Tag an sehr ernst genommen. Da war seine vollmundige Zusicherung, dass es „für übertriebene Sorge keinen Grund“ gebe, bereits Makulatur – obwohl nur einen Monat alt.

Was wir seinerzeit noch nicht wussten: So würde es weiter gehen. Nicht nur bei Jens Spahn. Im Bundeskanzleramt und Corona-Kabinett hielt mehr und mehr die Willkür ihren Einzug. Selbst die Ministerpräsidenten der Bundesländer wurden nur sporadisch einbezogen. Oder gleich am Gängelband vorgeführt. Nun, sie ließen es sich meist gefallen. Wie heißt es doch in einer Goethe-Ballade: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Versucht(e) die Bundespolitik etwa, das im Grundgesetz festgeschriebene föderale Prinzip auszuhebeln? Dann wehret den Anfängen. Sonst heißt es für die Länder wie bei Goethe weiter im Text: „Und ward nicht mehr gesehn.“

Ohne großes Aufsehen wurde die parlamentarische Demokratie kastriert. Der Bundestag war längst gleichgeschaltet. Man klatschte dazu dort mehrheitlich Beifall. Wen wundert’s, da sich ein Teil der Opposition doch bereits auf der Regierungsbank sieht. So war dann auch die erneute Zustimmung zum Gesetz zur Fortsetzung der epidemischen Lage eher reine Formsache. Dieses überträgt dem Gesundheitsminister (der hierbei nur Handlanger der Regierung ist) außerordentliche Befugnisse. Er kann selbst drastische Verordnungen vorbei an Bundestag und Bundesrat erlassen.

Das ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich, warnt Hans-Jürgen Papier, ein ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Er verwies bei WELT online (7. März 2021) auf die rechtsstaatlichen Defizite der Pandemie-Bekämpfung und sieht die Justiz „jetzt vor ihrer größten Bewährungsprobe“. Ein kurzes Zitat: „Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen.“ (Man möchte hier einfügen: Obwohl sie sich eingeschüchtert leider oft so verhalten.) Es dürfte nicht einfach sein, diesen erfahrenen Juristen als Querdenker zu diskreditieren. Aber verschweigen, vertuschen, verleugnen funktioniert schließlich auch. 

Was sind das nur für (Corona-)Zeiten! Was gestern richtig war, ist heute falsch. Und morgen behaupten Politiker – dabei sekundiert von Wissenschaftlern und Medienmachern – sogar das Gegenteil. Öffentlich leider unwidersprochen! Angesichts eines solchen Anspruches auf Unfehlbarkeit muss doch sogar der Papst blass werden. Dabei gab es in den vergangenen Monaten viele, viel zu viele Beispiele für Unvermögen bis hin zum Versagen. Hier eine kleine Auswahl; auch aller schlechten Dinge sind drei: Corona-Warn-App, Impfstoffe und Impfungen, Viren-Schnelltests. Wie selbstgefällig mutet da an, dass (Originalton Angela Merkel) „im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen ist“.

Und dann dieses Drama mit den Masken. Was für ein Schmierentheater, was für ein Trauerspiel. Demaskiert wurden inzwischen einige Politiker, die mit der Gesundheit für sehr viel Geld gute Geschäfte machten, sich sprichwörtlich daran gesund gestoßen haben. Die Bauernopfer sind gefunden. Eventuell wird daraus trotzdem (laut ntv ) noch eine Affäre, die Markus Söders CSU und die Landesregierung in München als Mitwisser entlarvt. Natürlich könnte es auch unglaublicher Zufall sein, dass der Freistaat Bayern so rigoros auf die Verwendung von FFP2-Masken beharrt. 

Ein anderes Politikversagen auf höchster Ebene liegt etwas länger zurück. Laut Recherchen von WELT AM SONNTAG beauftragte bereits im Frühjahr 2020 das Bundesinnenministerium ausgewählte Wissenschaftler einiger Institute und Hochschulen damit, Rechenmodelle zu erstellen, mit denen selbst harte Corona-Maßnahmen gegen die Bevölkerung zu rechtfertigen wären. Wie bestellt, so geliefert. Und das in nur vier Tagen und als „geheim“ eingestuft. „Darin wurde ein ‚Worst-Case-Szenario‘ berechnet, laut dem in Deutschland mehr als eine Million Menschen am Coronavirus sterben könnten, würde das gesellschaftliche Leben so weitergeführt wie vor der Pandemie.“

Wieso nur wird der Berliner Politik der Vorwurf gemacht, gezielt Angst zu verbreiten und Panik zu schüren. (Ironie aus!) Es wurde auf Zeit gespielt, die Recherchen wurden behindert und blockiert. Rechtsanwälte der Sonntagszeitung lagen mehrere Monate lang u.a. mit dem Robert-Koch-Institut juristisch im Clinch. Der Beitrag konnte deshalb erst Anfang Februar 2021 erscheinen. Ohne Frage ein journalistischer Coup. Das brisante Thema wurde trotzdem von anderen Zeitungen bzw. Radio und Fernsehen – welch‘ Überraschung! – kaum aufgegriffen.

Doch nochmal zu Jens Spahn. Das Robert-Koch-Institut, das an dem Gefälligkeitsgutachten für das Ressort von Minister Seehofer mitgeschrieben hatte, untersteht ja seinem Ministerium. Beim Schreiben der BB-Kolumne von Anfang April 2020 war noch nicht klar, wohin sein politischer Werdegang führen würde. Kanzlerkandidat? Krisenmanager? Beides darf man im Jahr danach getrost vergessen. Es stand zudem geschrieben: „Vielleicht ist er aber auch der Sündenbock von morgen.“ Und das schon damals ohne Fragezeichen.

Hans-Georg Prause

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